Stil mit Profil

Corona-Lockdown, US-Wahlen und Terror in Wien: Christian Rainer hat als Herausgeber und Chefredakteur von Profil keine ruhige Minute. Dennoch nimmt er sich für uns Zeit. Das Interview samt Fotoshooting findet in seinem Redaktionsbüro im fünften Stock statt. Als unser Fotograf auch im Freien Bilder machen möchte springt Rainer einfach aus dem Fenster. Zum Glück führt es auf ein Flachdach und wir können Minuten später unverletzt mit dem Interview beginnen. 

Interview: Alexander Pfeffer, Fotos: Ingo Pertramer

Wie ziehen Sie sich für den Bundeskanzler, wie für die Freundin und wie für ein Interview mit Austrian Limited an? Ich bin alt genug, um weniger elegant gekleidet zu sein als der Bundeskanzler. Das heißt: vorgestern bei einem Hintergrundgespräch Rollkragenpullover, eine Hose von Edi Komaretho, Blaumax, die auf der Seite Streifen hatte und als Pyjama bezeichnet wurde. Ich überlegte, ob ich den H&M-Hoodie anlassen sollte, habe ihn dann aber ausgezogen. Bei diesem Bundeskanzler ist down-dressing fast Pflicht.

Sind Sie per Du mit dem Bundeskanzler? Ja, aber sehr distanziert. Wenn wir ihm etwas zu verdanken haben, dann die Tatsache, dass das recht unnötige Dekorstück Krawatte verschwindet und nirgends mehr verpflichtend getragen werden muss.

Wie ziehen Sie sich für Ihre Freundin an? Anziehen ist bei der Freundin der falsche Ausdruck, oder? (Lacht.)

Okay also was würden Sie alles für Ihre Freundin ausziehen? Ich habe gelernt, was ich viele Jahre verabscheute, nämlich enganliegende V-Neck-T-Shirts zu ertragen. Inzwischen habe ich masochistischen Gefallen daran gefunden. Zweiter Fauxpas, den ich mir leiste: Ich glaube, es war Karl Lagerfeld, der sagte: „Wer eine Jogging-Hose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ Somit verläuft mein Leben nun unkontrolliert, allerdings farblich abgestimmt auf T-Shirt und Wohnung.

Kommen wir noch zu Austrian Limited und zu österreichischer Mode. Der Anzug, den ich anhabe, ist vom fabelhaften Herrn Netousek senior, dessen Sohn auf der Wiener Gumpendorfer Straße die Schneidertradition weiter hochhält, einer der wenigen verbliebenen Großmeister seines Fachs. Die Schuhe hat Herr Schikola in der Singerstraße genäht, ein Burgenländer. Und das Hemd ist von Venturini – auch Altösterreich irgendwie. Es gäbe keine österreichische Modetradition ohne die Kronländer – und vor allem ohne das, was damals nicht als Migration empfunden wurde, sondern das, was damals ein wunderbarer Mischmasch war.

Was verbinden Sie mit Österreich und Mode? Sie kommen ja aus dem Salzkammergut. Ich bin mit der Lederhose aufgewachsen und trage wirklich gerne Tracht, auch im rabiaten Widerstand zu dem Vorurteil, dass Tracht etwas Konservatives oder Bürgerliches sei. Oder gar mit der dunkelsten Zeit unserer Vergangenheit etwas zu tun hätte. Ich trage Tracht gerne, finde es etwas eigenartig, aber amüsant erträglich, wenn die Städter aufs Land fahren und sich dann dort verkleiden. Bei mir gerät es bisweilen suprarealistisch: Ich trage die kurze Lederhose auch im Winter, um frierend den harten Hund zu mimen. Und da finden wir die Verbindung zu dem, was ich an Wien so schätze: die Handwerkskunst. Mein Gamsfrackerl, ein sehr kurzes, eng anliegendes Jopperl, das man in Ebensee trägt, ist noch aus den 1920er Jahren, natürlich handgemacht.

Österreich steht also für Handwerkskunst? Wenn österreichische Kleidung sich abheben kann, dann durch das Tradieren des Handwerks. Ausreißer: Ausnahmeerscheinungen wie Helmut Lang. Im Hintergrund drängen immer hunderte Jahre von Schneiderkunst, von Schuhmacherkunst, auch von Theaterausstattern. Einige Anzüge, die ich besitze, stammen aus den 90er Jahren von einem tschechischen Theaterschneider in Brünn. Ein guter Maßanzug kostet weniger als ein völlig unnötiger Markenanzug vom italienischen Designer, den man nicht aussprechen kann. Erst recht Maßschuhe oder Maßhemden: Es ist ein Vorurteil, dass ein Maßhemd teuer ist. Da kann ich dreimal Manschetten und Kragen wechseln und dann kommt es billiger als jedes bessere Hemd aus der Konfektion..

Sie gelten als Stilikone. Hatten Sie schon von Anfang an ein Faible für modische Extravaganzen? Nicht gerade ab dem Strampler, aber kurz danach. Es gibt Fotos von mir, da war ich noch keine zehn Lenze alt und trage eher auffällige grellgelbe Schnürlsamthosen mit Schlag. Das ist offensichtlich in der Genetik verankert.

Sie sind 58 Jahre alt. Das ist ein hartes Statement. (Lacht.)

Hat sich Ihr Modebewusstsein mit dem Älterwerden irgendwie verändert? Ich kippe langsam ins Legere. Gerade die Corona-Zeit lehrte mich, dass es angenehm ist T-Shirts zu tragen, dass ich mit 58 selbst bei offiziellen Terminen nicht scheel angeschaut werde, wenn ich ein Polohemd oder ein T-Shirt trage. Viel hat sich nicht geändert, aber die modisch geprägte Bequemlichkeit tritt doch in den Vordergrund.

Gibt es ein Kleidungsstück, auf das man ab einem gewissen Alter verzichten sollte? Genau gegen dieses Urteil wehre ich mich. Ein Urteil, das öfter gegen Frauen gefällt wird mit dem Satz: „In dem Alter kannst du das nicht mehr tragen.“ Das ist ein unsinniger Satz.

Sie beobachten beruflich oft mächtige Menschen – welche Macht hat Mode Ihrer Meinung nach? Wenn ich mir anschaue, wie die junge Generation – Kurz, Blümel, auch der mitteljunge Kern – gekleidet ist: Da besteht Mode offensichtlich in etwas zu kurzen und zu engen Sakkos und etwas zu knackigen Hosen. Wenn ich sehe wie Emmanuel Macron mit einer scheinbar ähnlichen Facon umgeht, macht mich der Vergleich sicher. Slim Fit in Frankreich und in Österreich ist nicht unbedingt dasselbe.

Wie gut ist Österreichs Politik gekleidet?Verbesserungsfähig, aber auf dem Weg von Dunkelschwarz zu Mittelgrau.

Frauen haben im Durchschnitt 20 Paar Schuhe, Männer durchschnittlich acht. Wie sieht das bei Ihnen aus? Wenn ich Sneakers dazu zähle und Flip-Flops nicht – da nähere ich mich den 100 Paar.

Reflektiert Ihre Mode auch Ihre Stimmung? Gute Frage. Selbstverständlich. Ich kleide mich inzwischen mehr danach, wie meine Stimmung ist beziehungsweise, wie meine Stimmung sein sollte, als dass ich mich danach richtete, welche Termine ich wahrzunehmen habe. Es gibt Tage, wie der gestrige nach dem Attentat in Wien, an denen ich einen Anzug, eine Krawatte und ein Hemd brauche, ohne dass ich einen einzigen Termin hätte. Gestern brauchte ich die Sicherheit des urkonservativen Korsetts, um durch diesen Tag zu kommen. Dann gibt es wieder Zeiten, zu denen ich finde: Heute will ich leger sein. Das Sein bestimmt nicht nur das Bewusstsein, sondern auch die Stimmung.

Wie modisch kann ein Mund-Nasen-Schutz sein? Da ich den Mund-Nasen-Schutz als einen Fremdkörper betrachte, da ich inständig hoffe, dass er nur eine Übergangszeit prägen wird, verwende ich fast ausschließlich Wegwerf MSN- oder FFP2-Masken. Ich weigere mich, die Maske als modisches Accessoire zu akzeptieren..

Wie lange werden uns diese Corona-Maßnahmen begleiten und wie wird der Lifestyle geprägt sein? Noch ein Jahr deutlich spürbar – wenn wir Glück haben. Freilich: Ich denke, dass der Lifestyle viel zu wenig geprägt sein wird von dieser Zeit. Die Menschen werden nicht begreifen, dass Corona nichts war im Vergleich zu dem, was uns mit der Klimakatastrophe droht – nicht einmal ein Klacks. Ich würde mir wünschen, dass die Welt nachdenklicher würde und der Lifestyle sich stärker änderte. Das wird nicht passieren.

Womit assoziieren Sie Austrian Limited? Eine Bewegung für österreichische Manufakturen oder eine neue Körperschaftsform? Schöne Titelbilder auf einem Magazin.

Wie feiern Sie heuer Weihnachten? Ich habe nachgedacht, wie es heuer sein wird. Ich würde gerne mit meinen Kindern, die schon Tage zuvor Chanukka gefeiert haben, ein jüdisches Fest – ich würde gerne mit ihnen wie so oft ins Do & Co am Stephansplatz gehen zu meinem Freund Attila Dogudan..

Was schenkt Christian Rainer? Ich schenke am liebsten Sachen aus meinem eigenen Fundus, die mir derart ans Herz gewachsen sind, dass ich mich davon nicht trennen will. Wenn ich so schenke, ist es ein Teil von mir.

Vielen Dank für das Gespräch!