Im Talk mit Nina Proll

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Rote Hüte statt Masken: Sie haben eine sehr originelle Alternative zum Mund-Nasen-Schutz ins Spiel gebracht, abzielend auf die psychologische Symbolwirkung: Sie empfehlen rote Hüte, da diese das Atmen erleichtern und außerdem besser aussehen. Wie stehen Sie zum Mund-Nasen-Schutz? Dr. Franz Allerberger, der Leiter der AGES, sagt: Der Mund-Nasen-Schutz hatte in Österreich nachweislich keinen Einfluss auf das Infektionsgeschehen. Das heißt nicht, dass er gar nicht schützt, sondern nur in so geringem Maß, dass man es nicht einmal messen kann. Er ist auch nicht gegen Masken. Wenn die Regierung sagt, wir sollen welche tragen, dann tragen wir sie, und wenn die Regierung sagt, wir sollen uns rote Hüte aufsetzen, dann setzen wir uns rote Hüte auf. Das ist die Mentalität, die sehr um sich gegriffen hat. Was mich erstaunt: Welch großer Teil der Bevölkerung eigentlich völlig kritiklos alle noch so hanebüchenen Maßnahmen umsetzt und einhält. Beispielsweise sollen wir nicht mehr an die frische Luft gehen. Warum sollen Menschen – egal ob gesund oder krank – nicht an die frische Luft gehen? Oder nachdem Theater oder Gastronomie alle Maßnahmen erfüllt und Sicherheitskonzepte erarbeitet haben, schließt man nun Theater und Gastronomie. Orte, wo es nachweislich keine Cluster gegeben hat. Das richtet mehr Schaden als Nutzen an.

Sie sind jemand, der Klartext spricht: zum Thema Sexismus genauso wie jetzt bei Corona. Haben Sie überhaupt eine Chance, verstanden zu werden? Diese Themen haben viele Parallelen. Bei beiden wird ständig mit zweierlei Maß gemessen und die Position gewechselt. Mal geht es um das Gesundheitssystem, dann um Risikogruppen, dann plötzlich um den R-Faktor und dann wieder um den Wintertourismus. Und in beiden Fällen geht es um Dritte, die vermeintlich vor etwas geschützt werden sollen, ohne dass man diese Dritten jemals einbezogen hat oder sie gefragt hat, ob sie das überhaupt wollen. In der Sexismusdebatte ging es ursprünglich um Machtmissbrauch im Filmbusiness, dann um strukturelle Gewalt im Allgemeinen, dann um Vergewaltigungen und am Ende kam die Forderung, wir alle müssen nun unser Verhalten ändern, da ja schon ein Blick, ein Gedanke, Nachpfeifen oder eine Einladung zum Abendessen Ausdruck von sexueller Gewalt sein kann. Unterm Strich wird der erwachsene Mensch als Unmündiger behandelt und muss zu seinem eigenen Wohl vor sich selbst geschützt werden. Diese Haltung teile ich nicht. Wobei ich kein Problem damit habe, wenn jemand anderer Meinung ist. Ich werde ihn nicht an seiner Lebensweise hindern oder mich darüber lustig machen. Aber ich habe sehr wohl ein Problem damit, wenn diese anderen mir ständig vorschreiben, wie ich zu leben habe. Das habe ich schon in meiner Kindheit gehasst. Und immer, wenn solche Tendenzen stärker werden, melde ich mich zu Wort. Ich bin sehr freiheitsliebend und alle Werte, die mir wichtig sind und für die ich – sogar in meiner Familie – kämpfen musste, werden hier infrage gestellt.

Sie melden sich auch musikalisch zu Wort: etwa mit dem Lied „I zag di au“. Hinter dem Lied stand einfach die Betroffenheit und Fassungslosigkeit, wie schnell es ging, dass eine Gesellschaft wieder Formen annimmt wie zu Zeiten der DDR oder der Nationalsozialisten. Plötzlich sind da Menschen, die ihre Nachbarn denunzieren und die Polizei rufen, wenn zu viele Freunde im Garten sitzen. Esther Vilar hat ein tolles Buch zu diesem Thema verfasst: „Die Lust an der Unfreiheit“. Sie erklärt darin, warum viele Menschen ein strenges Regime der Freiheit vorziehen. Nämlich weil ein strenges System von Regeln und Geboten sie von der Verantwortung befreit, selbstständig denken und handeln zu müssen. Freiheit macht Angst.

Das kenne ich. Ich bin während des ersten Lockdowns mit dem Auto in das Büro gefahren, wollte Sachen fürs Home­office holen und bin von drei Polizisten hinaufbegleitet worden, ob ich das auch tatsächlich mache. Ich kann das nachvollziehen. Ich habe mich auch an gestrige Zeiten erinnert gefühlt. Das finde ich schon inte­ressant. Wir hatten ja alle Geschichtsunterricht. Wenn man sich alte Filme und Dokumentationen anschaut, denkt man sich, wie war das damals möglich? Jetzt haben wir gesehen, wie schnell es geht. Indem du ein System etablierst, in dem sich Politiker plötzlich erheben in eine gottähnliche Instanz und darüber entscheiden, wer in diesem System relevant oder irrelevant ist. Wer ist Lebensretter und wer Staatsfeind, wer ist gut und wer ist böse? Ich persönlich habe weniger ein Problem mit einer Wirtschaftskrise, und auch mit dem finanziellen Schaden kann ich irgendwie leben. Das hat es immer wieder gegeben. Aber nicht mit dem gesellschaftlichen und seelischen Schaden, den man gerade Kindern und alten Menschen zufügt. Die Welt, die wir jetzt gerade gestalten, in der werden unsere Kinder eines Tages leben – hier haben wir eine Verantwortung. Und in einer Welt der Angst und Denunziation will ich nicht leben.

Wie sehr sind Sie von der Politik enttäuscht? Sie haben einmal in einem Profilinterview von Sebastian Kurz als sehr beeindruckend geschwärmt. Hat sich Ihre Meinung geändert? Mich hat immer seine Sachlichkeit beeindruckt. Aber jetzt habe ich den Eindruck, Politiker in ganz Europa haben jegliche Sachlichkeit verloren. Man hat sich selbst in eine Sackgasse manövriert, indem man Regeln aufgestellt hat, die man nicht einhalten kann, Stichwort Reisewarnungen. Und ignoriert dabei sämtliche guten Nachrichten und Erkenntnisse. Selbst die WHO hat bestätigt, dass der Virus weniger gefährlich ist als ursprünglich angenommen und warnt vor weiteren Lockdowns. Doch das wird von Politikern gar nicht wahrgenommen. Sie wollen eine Katastrophe, also kriegen wir eine …

Warum sollten Politiker das machen? Ich glaube, es ist die Sehnsucht danach, endlich mal bei etwas wirklich Großem, Bedeutendem dabei zu sein und hier Entscheidungen treffen zu können, die bis in die Schlafzimmer der Menschen reichen. Eine Art Minderwertigkeitskomplex unseren Vorfahren gegenüber.

Könnten Sie sich vorstellen, in die Politik zu gehen? Nein, dafür liebe ich meinen Beruf zu sehr. (lacht) Vielleicht in der Pension …

Welche Rolle haben eigentlich die Medien gespielt? Die Medien haben versagt. Sie wurden um 30 Millionen mit Anzeigen gekauft. Das weiß jeder, und trotzdem stört es niemanden. Ich weiß nicht, wo sind die kritischen Qualitätsmedien, die Florian Klenks und Armin Wolfs, die sonst immer empört aufspringen, wenn ein Herbert Kickl „Pieps“ sagt? Da wird dann immer gleich die Demokratie infrage gestellt. Aber jetzt, wo die Demokratie wirklich in Gefahr ist, weil permanent verfassungswidrige Gesetze erlassen, Grund- und Freiheitsrechte verletzt, die Mehrheit der Bevölkerung geschädigt und eingesperrt wird, man also die Demokratie aushebelt, fehlen solche Stimmen. Unter dem Vorwand „Gesundheit geht vor“ wird gerade die Gesundheit der einen für die Gesundheit der anderen geopfert. Und das geht demokratiepolitisch nicht.

Austrian Limited ist eine Plattform für österreichische Manufakturen. Aber immer, wenn man etwas für österreichische Unternehmen macht, wenn man einen gewissen Nationalpatriotismus an den Tag legt, wird man schnell in ein rechtes Eck gestellt, obwohl das damit nichts zu tun hat. Ich glaube, dass andere Länder mit Patriotismus ganz anders umgehen. Wie sehen Sie das? Ich glaube schon, dass wir ein mangelndes Selbstbewusstsein haben. Das fängt bei den Radios an, die weder österreichische Künstler fördern noch feiern. Sobald du über die Grenze nach Italien fährst, hörst du nur italienische Musik. In Österreich hörst du amerikanische Hits, die von irgendeinem Formatradio in Holland programmiert werden.

Könnten wir mehr Nationalstolz vertragen, oder ist das etwas Gefährliches? Stolz ist ein schwieriges Wort, aber Liebe fände ich schon okay. Liebe zu den eigenen Produkten, den eigenen Filmen, Musik, Mode, Identität absolut. Natürlich hilft so etwas wie Heimat oder Tradition, seine Identität zu finden. Wenn etwas Tabu ist, dann wird das schwer.

Wer hat es in unserer Gesellschaft einfacher, Frauen oder Männer? Schwer zu sagen. Ich glaube jetzt mit Corona haben es alle gleich schwer. Frauen, besonders Alleinerzieherinnen, vielleicht noch schwerer, weil vieles – wie etwa Homeschooling – an ihnen hängen bleibt.

Wo sehen Sie in der Coronazeit die Frauenrechtler, die davor so laut waren. Die höre ich jetzt nicht. Ja. (lacht) Wo ist Sigi Maurer, wenn man sie einmal braucht? Es wird zwar dann angeprangert oder beklagt: Frauen sind benachteiligt und verdienen weniger. Aber es wird kein Szenario entworfen, wie man es ändern könnte. An der Grundsituation wird nichts verändert.

Ich möchte noch einmal auf das Thema Provokation kommen: Sie haben das heuer sogar mit Ihrem Opernballkleid geschafft. Das hat mich selbst erstaunt. (lacht) Ich wundere mich selbst, dass man im Jahr 2020 mit einem Kleid noch polarisieren kann.

Werden wir immer prüder? Ich glaube schon. Wir erleben ein neues Biedermeier. In den 90ern hätte dieses Kleid niemanden aufgeregt. Da wäre es niemandem aufgefallen. Es kommt eine neue Prüderie. Eine Genussfeindlichkeit, Stichwort: Rauchen, Alkohol, Tanzen, Flirten, schnelle Autos … Alles, was uns früher Spaß gemacht hat, ist heute verboten.

Wurde der Spaß abgeschafft? Definitiv. Ich glaube, diese Tendenz war aber schon vor Corona da, jetzt ist sie nur sichtbarer. Wir dürfen jetzt nur noch arbeiten und dann nach Hause gehen. Wie Roboter, Maschinen. Jedes Miteinander, Zusammensein, körperliche Nähe wird als Bedrohung empfunden. So stellt sich die Politik vor, dass wir leben. Sie erfinden immer mehr Regeln für unsere Gesellschaft. Am Ende stellt sich die Frage: Wollen wir so leben? Wollen wir, dass der Staat so tief in unser Privatleben eingreift? Dass er uns sagt, was wir essen und trinken sollen, wie viel wir uns bewegen, mit wem wir Sex haben und wen wir überhaupt treffen dürfen? Zucker und Fett sind auch ungesund. Folgen nun Cremeschnitten- und Alkoholverbote? Wo führt das noch hin?

Kommen wir zu unserem Shooting. Wir haben Sie in einer Geschäftsauslage fotografiert. Was war da die Inspiration? Dass man als Künstlerin in der Auslage steht, sich manchmal wie eine Marionette fühlt, wie eine Puppe. Und dass man in gewisser Weise auch ein Produkt darstellt, das gekauft werden kann. Egal, ob es in Form von Liedern, Filmen oder Konzerten ist.

Sie sind eine Marke. Wofür steht diese? Was wäre Ihr Claim? Ich glaube, dass ich ziemlich unbestechlich bin.

Bei unserem Stadtspaziergang sind wir auch in eine Aida-Filiale eingekehrt. Grundsätzlich: Ich liebe Süßes, ich lie­be Fett und Zucker. Gerade wenn es kalt wird, braucht der Mensch Fett und Zucker, also Mehlspeisen. Ich bin leidenschaftliche Bäckerin und backe sehr viel. Und mit der Café-Konditorei Aida verbindet mich mein Film „Nordrand“. Ich spielte eine Kellnerin, die in der Aida arbeitet. Da gibt es eine berühmte Szene, in der ich Cremeschnitten esse. Das Foto ist also eine Hommage.

Greifen Sie nur bei Cremeschnitten zu österreichischen Produkten? Nein, ich trage gerne österreichische Designer, wie beispielsweise beim Shooting Kleider von Silvia Schneider. Und natürlich achte ich auch beim Essen auf Regionalität. So schaue ich, dass das Schaf nicht aus Neuseeland kommt, sondern von den Nachbarn.

Haben Sie sich schon Gedanken über Weihnachten gemacht – wie werden Sie die Feiertage heuer verbringen? Ich weiß es noch nicht. Zu Weihnachten sind immer alle Brüder zusammenkommen, alle Frauen und Kinder. Das sind dann mehr als 20 Leute. Wir haben uns als Familie schon fast ein Jahr nicht mehr gesehen. Keine Ahnung, ob wir das heuer so machen oder nicht. Vermutlich nicht. Aber nicht wegen mir.

Weihnachten ist ein religiöses Fest. Sind sie gläubig? Ich bin offensichtlich doch katholischer oder religiöser, als ich gedacht habe. Ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich mich an Gott wende: Bitte mach, dass dieser Irrsinn aufhört. Grundsätzlich habe ich eine große Demut vor dem Leben und auch dem Tod. Da ich bei meiner Oma aufgewachsen bin, war der Tod ein ständiger Begleiter. Sie hat mich jeden Tag zum Friedhof mitgenommen. Aber die Angst vor dem Tod verhindert nicht den Tod, sondern das Leben. Oder um es mit Robert Pfaller zu sagen: Fest steht, dass wir alle eines Tages sterben. Wir sollten daher sichergehen, dass davor so etwas wie „Leben“ stattgefunden hat“.

Herzlichen Dank für das Interview!